[Event] Eine geheimnisvolle Kugel

  • Winzige Staubteilchen tanzten vor dem Fenster, als wollten sie die gerade aufgegangene Sonne begrüßen. In der Bibliothek von Britain herrschte eine Stille, die durch das leise Rascheln von Papier eher noch betont als gestört wurde. Die beiden Kerzen auf dem großen Tisch, hatte Loravic bereits zweimal erneuert, zuletzt vor beinahe drei Stunden und auch diese beiden waren beinahe heruntergebrannt.


    Der Hofschreiber fügte ein weiteres Buch dem Stapel hinzu, der im Verlauf der Nacht immer weiter angewachsen war. Seine Knochen knackten deutlich hörbar, als er aufstand und sich reckte. Dann trat er vor das Regal und kniff die Augen zusammen. Die Titel waren im Dämmerlicht nur schwer zu entziffern. Endlich fand er, was er gesucht hatte. Als er sich mit dem Folianten wieder seinem Stuhl zuwandte, fiel sein Blick auf die Kristallkugel, die er vorsichtig am äußersten Rand des Tisches platziert hatte. Er lächelte grimmig. Sie würde ihre Geheimnisse schon noch preisgeben. Er war sich ganz sicher, dass er bereits von ihr gelesen hatte. Doch das musste vor vielen Jahren gewesen sein, als er noch ein junger Lehrling war.


    Da sie Nystuls Zeichen trug, hatte er bei seinen Recherchen mit dessen Aufzeichnungen begonnen. Dies hatte ihn bis zur zweiten Stunde beschäftigt, ihn jedoch keinen Schritt weitergebracht. Zu dumm, dass der weitaus größte Teil von Nystuls Schriften verschollen war. Gerüchten zufolge enthielten sie derart starke Magie, dass Nystul selbst sie vernichtet hatte, um einen Missbrauch zu verhindern.


    Loravic betrachtete die Kugel noch einen Moment. Sie war ihm am gestrigen Abend in einer hölzernen Schachtel von einem Boten überbracht worden. Er hatte das Siegel auf der Kiste bereits erkannt, als der Bote seine Verbeugung beendet hatte. "Ehrenwerter Hofschreiber", hatte der in feinste Seide gekleidete Abgesandte ihn begrüßt, "der erhabene Ihara Soko, Imperialer Handelsminister und Meister dieses unwürdigen Überbringers von Nachrichten sendet Euch seine herzlichsten Grüße. Diesem hier wurde die Aufgabe zuteil, Euch dieses ebenso wertvolle wie geheimnisvolle Artefakt zuzustellen."
    Es hatte einige Zeit gedauert, bis der Bote seine Litanei beendet hatte. Kurz gesagt war die Holzkiste in einem kaum benutzten Lagerraum in der Nähe von Zento aufgefunden worden. Da die Zeichen auf der Kiste es als magisches Artefakt auswiesen, hatte man dem Minister davon berichtet, der sie umgehend nach Britain bringen ließ. Als alter Bekannter des Hofschreibers kannte er dessen Interesse an allen Arten von Altertümern und Geheimnissen.


    Bisher hatte die Lösung dieses speziellen Geheimnisses allerdings auf sich warten lassen. Der Schreiber setzte sich wieder, schlug das Buch auf und betrachtete die erste Seite. Er seufzte leise. Dexter mochte ein brillanter Kopf gewesen sein, der den Posten des Königlichen Magiers zu Recht innegehabt hatte, aber seine Handschrift war schlichtweg furchtbar. In dieser Hinsicht stand er seinem ehemaligen Meister Kronos in Nichts nach.


    Loravic benötigte seine gesamte Konzentration, um die Schrift zu entziffern. Vielleicht lag es daran, dass er die leisen Schritte auf der Treppe überhörte. "Meister?", ertönte eine fröhliche Stimme, "Guten Morgen. Seid Ihr schon wieder auf oder immer noch?"
    "Morgen, Albert", erwiderte Loravic den Gruß, ohne von seiner Lektüre aufzusehen. "Immer noch.", fügte er dann mit leichter Verspätung hinzu.
    "Meister, was ist das denn? Ich glaube nicht, dass ich die schon einmal gesehen habe."


    "Hm? Was gesehen?" Loravic hob den Blick und sah gerade noch, wie Albert die Hand nach der Kristallkugel ausstreckte.
    "Nein!", rief er noch, doch es war zu spät. Die Hand seines Gehilfen senkte sich auf die Kugel während sein Kopf verdutzt zu Loravic herumfuhr. Alberts Mund öffnete sich, als wollte er eine Frage stellen.
    "Dummer Kerl" fuhr der Hofschreiber ihn an. Der Stuhl, auf dem er die Nacht verbracht hatte, fiel klappernd um, als er aufsprang. "Ein unbekanntes magisches Artefakt fasst man doch nicht mit bloßen Händen an. Es könnte ja sonst etwas geschehen. Willst Du Dich umbringen?" Er trat auf seinen Gehilfen zu, der immer noch mit offenem Mund da stand, die Hand auf die Kugel gelegt.


    "Nun sieh mich nicht so..." Der Schreiber verstummte und musterte fassungslos Alberts starres Gesicht. "Albert?" Er trat auf den jungen Mann zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. Der Lehrling rührte sich nicht. "Albert? Junge? Was ist mit Dir?" Vorsichtig packte Loravic den Arm seines Gehilfen und zog ihn von der Kugel weg. Der Arm machte die Bewegung ohne Widerstand mit, erstarrte aber wieder, sobald der Hofschreiber ihn los ließ.


    Auch als er mit der Hand vor den Augen des Jüngeren herumwedelte, zeigte dieser keine Reaktion. Seine Augen starrten nach wie vor in Richtung des Stuhls, auf dem Loravic gesessen hatte. Der alte Mann taumelte ein paar Schritte zurück und hielt sich am Tisch fest, als er über den auf dem Boden liegenden Stuhl zu stolpern drohte. Ein feuchter Schleier legte sich über seinen Blick, als er seinen jungen Lehrling verzweifelt ansah.
    "Oh, Albert. Du dummer, dummer Junge. Was hast Du nur getan?"


    Eine der Kerzen flackerte ein letztes Mal auf und tauchte Loravics tränenfeuchtes Gesicht in einen orangefarbenen Schimmer, dann erlosch sie mit einem leisen Zischen.


    ***


    Der Heiler trat einen Schritt zurück und wandte sich Loravic zu, der an einem der Bücherregale lehnte. Der Hofschreiber schien in der letzten Stunde um Jahre gealtert zu sein. Tiefe Falten zogen sich durch sein Gesicht. Der Heiler schüttelte langsam den Kopf. "Körperlich scheint ihm nichts zu fehlen. Ich kann es mir nicht erklären." Er schenkte dem Schreiber ein trauriges Lächeln. "Doch noch ist nichts verloren. Sein Herz schlägt, er atmet regelmäßig und seine Organe arbeiten. Er kann in diesem Zustand noch mehrere Tage bleiben, bevor..." Der Heiler biss sich auf die Lippen.
    "Bevor er verdurstet, wollt Ihr sagen." Loravic schloß die Augen. Seine linke Hand bewegte sich nach hinten und strich sanft über die Buchrücken, als würden ihm diese Trost spenden.
    "Es besteht noch Hoffnung, will ich damit sagen. Wir haben drei bis vier Tage Zeit, ihn aufzuwecken. Doch dafür müssten wir erst einmal wissen, wie er in diesen Zustand geraten ist."


    "Ihr habt Recht." Loravic stieß sich von dem Regal ab und ging mit erstaunlich festem Schritt um den Tisch herum. Dexters Manuskript, in der er gelesen hatte als Albert hereinkam, lag immer noch da. "Haltet Ihr ihn nur lange genug am Leben", wies er den Heiler, während er den Stuhl wieder aufstellte und sich setzte. "Ich finde die Lösung. Ich brauche nur etwas Zeit."


    "Er scheint keinen Schluckreflex mehr zu haben. Ihr habt also maximal drei, allerhöchstens vier...", begann der Heiler.
    Loravic sah ihn an. Der Heiler zuckte leicht zusammen, als er den Blick des Alten sah. "Ihr haltet ihn am Leben.", wiederholte Loravic mit eisiger Stimme. Der Heiler nickte langsam. "Ich brauche ein paar Sachen..." Er brach ab. Der Schreiber hatte sich über seine Lektüre gebeugt und schien ihn nicht mehr zu hören. Als die Schritte des Heilers auf der Treppe verklungen waren, fuhr Loravic sich verstohlen mit dem Ärmel über die Augen. Dann sah er zu seinem Gehilfen hinüber. "Hörst Du, Junge? Halte durch. Es wird alles gut. Du musst nur durchhalten."

    Einmal editiert, zuletzt von Eldan ()

  • Eine der bekanntesten Kristallkugeln ist fürwahr die des Lich Khelereth, welcher man als einziger die tatsächliche Fähigkeit zusprach, dem Betrachter die Zukunft – oder zumindest eine mögliche Zukunft – zu zeigen. Hätte er sie mit mehr Weisheit genutzt, hätte ihn Lothars Verrat sicher nicht so...


    Loravic knurrte leise vor sich hin, als er weiterblätterte. Dies war nicht die Kugel, die er suchte. Moment, hier wurde Nystul erwähnt...


    Auch verfügte Nystul über eine Kristallkugel, welche ihm eine profunde Kenntnis über lang vergangene oder weit entfernte Geschehnisse bescherte. Blickte man durch den klaren Kristall ins Zentrum der Kugel und sprach die...


    Klarer Krstall? Nein, die kann es auch nicht sein. Weiter... Im Takt es dumpfen Pochens hinter seiner Stirn überflog er die Seiten.


    Nachdem Nystul der Unendlichkeit die Facette Trammel abgerungen hatte, fragte der Kurator mit angemessener Höflichkeit bei ihm an, ob er den Kristall, welchen er für diese magische Großtat verwendet hatte, nicht im Museum zum Andenken an diesen glorreichen Moment ausstellen wolle. Nystul musste dies leider ablehnen, da sie, wie er sagte, im Augenblick der Schaffung von Trammel verschwunden wäre. Als ob die Schöpfung von Trammel jemals in Vergessenheit geraten...


    Loravic blätterte weiter. Seine rotgeäderten Augen überflogen die Seiten.


    Leider ist sein Name nicht überliefert, aber seine Erfindung wird noch heute von Tierzähmern auf der ganzen Welt gepriesen. Seinen Begleiter im rechten Moment an seine Seite...


    Loravic runzelte die Stirn. Er hatte etwas übersehen, das spürte er deutlich. Das Pochen in seinem Kopf wurde stärker. Beinahe schien es ihm, als würde ein kleiner Dämon in seinem Schädel wütend auf und ab hüpfen und ihn einen übermüdeten Idioten schimpfen. Er blätterte zurück.


    "Nystul musste dies leider ablehnen, da sie, wie er..." Der Schreiber riss die Augen auf. "SIE! Kein einfacher Kristall. Eine Kristallkugel."


    Er blickte die Kugel auf dem Tisch prüfend an. Konnte dies das magische Artefakt sein, mit dem Nystul der Große eine neue Welt erschaffen hatte? Sie sah so unscheinbar aus. Kein inneres Feuer, das den Betrachter vor Ehrfurcht erschauern ließ. Und doch besaß diese Kugel große Macht. Der arme Albert, davon war er überzeugt, hätte ihm in dieser Hinsicht sicherlich beigepflichtet.


    Er trat an die Treppe und rief hinunter. "Meister Bibliothekar, habt Ihr hier ein Werk über die Erschaffung von Trammel?"
    Leider wurde seine Anfrage mit größtem Bedauern abschlägig beschieden. Er warf Albert noch einen letzten Blick zu, bevor er langsam die Treppen hinunterging. "Ein wenig frische Luft wird mir sicher gut tun.", murmelte er, als er sich in Richtung Burg und seiner kleinen Privatbibliothek aufmachte.

  • Bitte entschuldigt die Verschiebung, mir ist zeitlich etwas dazwischengekommen. Das Event wird morgen (Montag, 10. Januar) um 20:30 Uhr nachgeholt. Hier habt ihr auf jeden Fall schon einmal die Fortsetzung der Geschichte:


    "Ihr habt mich im Stich gelassen, Meister." Die ausgedörrte Gestalt, die einmal sein Lehrling gewesen war, torkelte auf ihn zu. Loravic wich zurück. Tränen standen in seinen Augen. "Ich konnte Dir nicht helfen. Ich weiß doch nicht, wie ich den Bann der Kugel brechen kann."
    Der verdurstete Albert tat einen weiteren Schritt. "Ich habe euch vertraut und bis zuletzt an euch geglaubt. Ihr habt mich sterben lassen."
    "Nein, Albert, nein!" Voller Angst sah Loravic sich in dem fensterlosen Raum um. Er war völlig leer. Von den dunklen Steinwänden rann eine zähe Flüssigkeit, die sich am dem Boden verteilte und seine Füße beinahe am Boden festkleben liess. Da! Hinter Albert war eine hölzerne Tür. Der alte Schreiber nahm seine gesamte Kraft zusammen und lief um den toten Albert herum, der ein tonloses Gurgeln ausstieß, als er nach seinem Meister griff. Loravic verstärkte seine Bemühungen. Jeder Schritt verursachte ein schmatzendes Geräusch, als er seinen Fuß aus der Flüssigkeit löste. Endlich hatte er die Tür erreicht und griff nach der Klinke. Abgeschlossen. Verzweifelt schlug er mit den Fäusten gegen die Tür. "Lass mich raus, bitte, öffnet die Tür." Du sollst denen in Not helfen oder Du sollst selbst Not erleiden. Die wispernde Stimme schien direkt aus dem Holz der Tür zu kommen. "Ich konnte doch nichts tun, ich weiß doch nicht, wie ich ihm helfen kann." Du hast es ihm versprochen. Du sollst nicht lügen oder Deine Zunge verlieren.
    Loravic schlug wie von Sinnen mit den Fäusten gegen die Tür. Albert hatte ihn beinahe erreicht. „Meisssster“, ertönte es von hinten. Loravic spürte seine Hand in seinem Nacken. "Öffnet die Tür, ich bitte euch."


    "Meister Loravic! Öffnet die Tür!"
    Der Schreiber fuhr hoch, sein Gesicht feucht von Schweiß und Tränen. "Albert!", rief er erschrocken.
    Doch sein Lehrling war nicht da. Erneut pochte es an der Tür. "Meister Loravic. Öffnet!"
    Ein Traum. Noch lebte sein Lehrling. Er schwang die Beine aus dem Bett und eilte zur Tür. Draußen standen ein Wachmann sowie ein Beamter, dessen Uniform die Farben von Vesper zeigte.
    "Was gibt es? Etwas Neues von Albert?" Loravics Stimme klang dünn und ängstlich in seinen Ohren.
    "In der Tat", erklärte der Beamte. "Er wird wegen Diebstahls gesucht Wisst ihr um seinen Aufenthaltsort, dann sagt es frei heraus."
    Loravic sah den Mann verständnislos an. War dies nur ein neuer Albtraum? "Diebstahl? Ist er von dem Bann befreit?"
    Nun war es der Beamte, der verwirrt dreinblickte. "Welcher Bann? Euer Lehrling ist letzte Nacht in das Haus eines unserer reichsten Bürger eingedrungen und hat ihn beraubt." Seine Miene nahm einen wissenden Ausdruck an. "Ah, wollt ihr etwa behaupten, er hätte unter einem Bann gestanden und wäre für seine Tat nicht verantwortlich? Mann, hebt euch diesen Unsinn für die Verhandlung auf. Sagt mir nur, wo er ist."
    Loravic, der in seinen Kleidern geschlafen hatte, zog nur seine Schuhe an, dann trat er an den beiden vorbei in den Flur. "Folgt mir, ich führe euch zu ihm."


    Auf dem Weg in die Bibliothek ging er die letzten beiden Tage noch einmal im Geiste durch. Er hatte die Kugel als diejenige identifiziert, die Nystul zur Erschaffung Trammels verwendet hatte. Doch keine seiner Schriften enthielt eine Erklärung für das, was seinem Gehilfen passiert war. Als die Worte vor seinen Augen verschwommen waren, hatte er den Rat des Heilers beherzigt und war schlafen gegangen. Die kurzen Ruhepausen, die er sich in den letzten Tagen zugestanden hatte, waren einfach nicht genug gewesen.


    Sein Herz pochte in seinen Ohren, als er die letzten Stufen der Bibliothek hinaufstieg. Albert stand noch immer da, wie er ihn verlassen hatte. Der Heiler, der in seiner Abwesenheit über seinen Lehrling wachte, stand auf, als er den Schreiber und seine Begleiter die Treppe hinaufkommen sah. "Noch eine Veränderung.", sagte er mit Bedauern in seiner Stimme.


    Der Beamte sah ihn mit durchdringendem Blick an. "Was bedeutet dies hier? Ist das der Verbrecher?" Der nickte in Alberts Richtung. Der Heiler zog eine Augenbraue hoch. Der hochnäsige Tonfall des Beamten war ihm nicht entgangen. "Dies, guter Mann", erklärte er, "ist mein Patient."


    Kurze Zeit später schüttelte der Beamte den Kopf. "Ihr wollt mir also weiß machen, er wäre seit Tagen in diesem Zustand?"
    "Ich bin bereit, es unter Eid zu beschwören. Seit Meister Loravic hier sich zur Ruhe begeben hat, habe ich ihn nicht eine Sekunde allein gelassen."


    Loravic betrachteten seinen Lehrling prüfend. Nein, er hatte sich nicht einen Zoll bewegt. Die blicklosen Augen starrten nach wie vor ins Leere. Es war, als hätte sein Geist ihn verlassen. Dies war nicht mehr sein Gehilfe, sondern nur eine leere Hülle. Ein wichtiger Teil fehlte.
    Ein Teil... Er begann, im Raum auf und ab zu gehen.


    Er war nun, dessen war er gewiss, der Lösung des Rätsels ganz nah. Er musste die einzelnen Teile nur richtig zusammensetzen.


    Zum einen hatte sein Lehrling im wahrsten Sinne des Wortes seinen Verstand verloren. Doch wohin war dieser entschwunden. Hatte die Kugel ihn aufgesogen? Die Kugel war doch eine schöpferische Kraft, die eine ganze Welt aus dem Nichts erschaffen hatte. Ein perfektes Abbild...
    Er lachte laut auf. Jetzt hatte er die Lösung. Die drei Männer sahen ihn überrascht an.


    "Er wurde kopiert", verkündete er den dreien. "Die Kugel hat ihn kopiert. Aber wieso hat sein anderes Ich diesen Raub begangen?" Er nahm seine ruhelose Wanderung wieder auf. "Seine Kopie scheint eine Art böser Zwilling zu sein. Das macht Sinn, da ja auch das friedliche Trammel als Kopie aus Felucca hervorging, das zu der Zeit vom Bösen beherrscht wurde. Aber warum ist er erstarrt? Selbst wenn die böse Hälfte seines Bewusstseins..." Wieder stockte er. Ihm war etwas eingefallen. Die Stimme in seinem Traum, was hatte sie noch gesagt. "Du sollst denen in Not helfen oder Du sollst selbst Not erleiden.", murmelte er. Er kannte diese Worte. Es war eines von Lord Blackthorns Gesetzen. Gesetze, die die Tugenden auf geradezu manische Weise durchsetzen sollte.
    Er wandte sich den wieder den Männern zu, die ihn immer noch anstarrten. Der Heiler wollte etwas sagen, doch Loravic hob abwehrend die Hand.
    "Ich glaube, ich weiß nun, was geschehen ist. Und ich weiß, warum der Diebstahl gerade in Vesper geschehen ist. Wenn ich Recht habe, hängt alles mit den Tugenden zusammen. Jede der acht Tugenden hat einen Gegenpol. Der Gegenpol von Aufopferung ist Gier oder Begehrlichkeit, wie es die alten Schriften nennen. Und welcher Ort wird mit dieser Anti-Tugend in Verbindung gebracht?"
    "Covetous", meinte der Wachmann verwirrt, „aber was hat das...“ Ein Aufblitzen von Verständnis erschien in seinem Blick. "Covetous liegt in der Nähe von Vesper."


    Loravic nickte zufrieden. "Wenn ich richtig liege, wurde mein Lehrling kopiert. Aber nicht nur einmal. Meiner Theorie nach muss es acht Kopien geben, jede versehen mit einem Teil seines Verstandes. Was für den armen Kerl noch übrig blieb, reicht gerade einmal aus, seinen Körper notdürftig am Leben zu erhalten. Die Antriebskräfte wie Selbsterhaltung, Ehrgeiz und so weiter sind alle in die Kopien geflossen. Nun müssen wir die Kopien nur finden und feststellen, wie wir die Bruchteile seines Geistes da wieder herausbekommen."


    Der Wachmann grinste breit. "Ich weiß genau, wie man den Geist vom Körper trennt."